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„Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft“

Mit diesem Slogan wurde vor 30 Jahren für die Errichtung einer eigenen Landeshauptstadt für Niederösterreich geworben. Landeshauptmann Mag. Siegfried Ludwig (ÖVP) und sein Stellvertreter Ernst Höger (SPÖ) waren dabei die maßgeblichen Politiker auf Landesebene. Im Interview schildert Ernst Höger, wie es zur Entscheidung in der Hauptstadtfrage kam.
Foto: Josef Vorlaufer
Landeshauptmannstellvertreter a.D. Ernst Höger war vor 30 Jahren einer der Hauptstadt-Gulaschköche.

St. Pölten Konkret: Warum ist ein Land ohne Hauptstadt wie ein Gulasch ohne Saft?Ernst Höger: Wenn nur das Fleisch und sonst nichts auf dem Teller liegt, dann ist das eine sehr trockene Angelegenheit. Die Gebäude der Landesregierung und der Verwaltung waren isoliert in Wien untergebracht. Also eine trockene Angelegenheit. Und so wie zum Gulaschfleisch der Saft mit all den schmackhaften Gewürzen und Zutaten gehört, so gehören auch die Landesregierung und die Verwaltung als Kristallisationspunkt für die Identifikation ins Land. Der Slogan war damals ein guter Werbegag, den die Menschen verstanden haben. Es ging darum, die Vorteile einer eigenen Landesregierung nach Niederösterreich zu bringen.

St. Pölten Konkret: Wie kam es zur Entscheidung eine Volksbefragung durchzuführen?Ernst Höger: Zur Abstimmung ist es gekommen, weil die ÖVP und die SPÖ sehr unterschiedliche Konzepte für das Land entwickelt haben. Die SPÖ setzte sich für die Regionalisierung ein und die ÖVP warb für eine zentrale Landeshauptstadt. Somit gab es zunächst keine Aussicht auf eine Einigung. Mir war bewusst, die Hauptstadtentscheidung ist etwas sehr Emotionales. Da kann jeder Bürger mitreden. Es geht um Identität und Heimat. Deshalb haben wir uns, trotz vieler Widerstände in beiden Parteien, darauf geeinigt eine Volksbefragung durchzuführen und das Ergebnis zu akzeptieren.

St.Pölten Konkret: Was waren politisch die Knackpunkte bei der Hauptstadtfrage?
Ernst Höger: Die politischen Knackpunkte waren die Regionalisierung und die Dezentralisierung der Verwaltung. Ich konnte durchsetzen, dass die gleiche Summe von 13 Milliarden Schilling, die für die Hauptstadterrichtung benötigt wurde, auch in die Regionen floss. Wir konnten uns auf eine umfassende Reform zur Dezentralisierung der Verwaltung einigen. Aufgrund des eindeutigen Ergebnisses der Volksbefragung herrschte zwischen Siegfried Ludwig und mir Einigkeit darüber, dass St. Pölten die neue Landeshauptstadt wird. Die tatsächliche Entscheidung fiel allerdings bei mir zu Hause. Ich traf Siegfried Ludwig bei einem öffentlichen Termin in Pottenstein und fragte ihn: Na, trauen Sie sich in das Haus von einem Roten? Er antworte: Ich rufe vorher noch meine Frau an, damit sie weiß wo ich bin! Im Stüberl meines Hauses sind wir bei einem Stück Geselchtem und einer Flasche Wein zusammengesessen und haben uns unter vier Augen ausgemacht was geht und was nicht. Um 1 Uhr in der Früh haben wir uns die Hand gegeben und gesagt: So machen wir´s. Und so war es dann auch!“

St. Pölten Konkret: Wie sehen Sie die Entscheidung heute? Gibt es nur Vorteile oder auch Nachteile?
Ernst Höger: In die Regionen ist sehr viel Geld geflossen und die Hauptstadt hat sich bestens entwickelt. So kann niemand sagen, dass ihm durch die Hauptstadtentwicklung etwas fehlt. Im Gegenteil: Es gibt eine enorme Wertschöpfung, eine riesige Erneuerungswelle, die Regionalisierung voll gegriffen. Ich glaube also, dass alle profitieren auch wenn es immer wieder Nörgler gibt. Die Hauptstadt hat sich bewährt, das Land hat sich gut entwickelt und daher waren die Entscheidungen richtig.

St. Pölten Konkret: Wie war Ihre Gesprächsbasis mit Landeshauptmann Mag. Siegfried Ludwig?
Ernst Höger: Wie wir uns kennen gelernt haben war noch Andreas Maurer Landeshauptmann. Ich bin damals sehr jung in die Landesregierung gekommen. Ludwig war als Finanzreferent tätig und ich war Gemeinde- und Wohnbaureferent. Da gab es natürlich viele Berührungspunkte und wir haben zahlreiche Projekte gemeinsam umgesetzt. Später wurde er Landeshauptmann und ich Landeshauptmannstellvertreter und obwohl er eine absolute Mehrheit gehabt hatte, hat er diese nie eingesetzt. Wir hatten uns vorgenommen alle Niederösterreich betreffenden Dinge auszureden und wir sind uns stets auf Augenhöhe begegnet. Er hat es akzeptiert, dass ich meine Themen und Grundsätze durchsetzen wollte. Und wenn wir uns einmal wirklich nicht einigen konnten, dann haben wir beides umgesetzt. Wir waren der Auffassung: Alles was geschieht, ist gut für das Land. Wir haben nie darüber nachgedacht was nicht geht, sondern nur darüber, was geht. Aus dieser Zusammenarbeit ist gegenseitige Achtung und Wertschätzung entstanden. Daraus hat sich schließlich eine starke Freundschaft entwickelt, die über unsere aktive Zeit hinaus bis zu seinem Tod gehalten hat.

St. Pölten Konkret: Was sind aus Ihrer Sicht die bisher wichtigsten Meilensteine in der Hauptstadtentwicklung?
Ernst Höger: Das wichtigste ist - und das ist nicht selbstverständlich, dass die Planung der Regierungsgebäude gelungen ist. Es gibt bei solchen Projekten immer tausende Wenn und Aber. Im Vordergrund stand die Funktionalität des Regierungsgebäudes und es sollte auch architektonisch repräsentativ sein, aber eben nicht übertrieben. Die Errichtung des Regierungsviertels verlief sensationell. Alles war im Zeitplan, die geplanten Kosten wurden eingehalten. Dann sind viele Institutionen und zentrale Einrichtungen nach St. Pölten übersiedelt und natürlich auch die Parteizentralen. Wir haben zur Hauptstadt nicht nur Ja gesagt, sondern sie auch mit Leben erfüllt. Es ist in Österreich nicht so ohne weiteres üblich ein neue Landhaus, einen ganzen Kulturbezirk, ein neues ORF Landesstudio etc. zu errichten. Aber St. Pölten hat sich auch nicht in ein Baugeschehen hineinhetzen lassen, das letztlich nicht mehr steuerbar gewesen wäre. Da hat es schnell geheißen, die Stadt entwickelt sich nicht. Mir hat gefallen, das der damalige Bürgermeister Willi Gruber am Boden geblieben ist und gesagt hat, die Leute müssen zuerst eine Arbeit haben und eine Wohnung, die sie sich leisten können. Ein Meilenstein, war dann die Überschreitung der 50.000er Einwohnergrenze, heute steuern wir auf die 60.000er Grenze zu. Trotzdem ist St. Pölten menschlich geblieben. Bürgermeister Matthias Stadler hat in einer sensiblen Phase der Hauptstadtentwicklung einen völlig neuen Geist hineingebracht, mit einer starken sozialdemokratischen Gesinnung aber mit einer neuen Offenheit nach außen hin. Und das spricht sehr viele Bürger an. Es ist ein neues Miteinander entstanden.
Nicht gelungen ist aus meiner Sicht die Integration des Regierungsviertels in der Stadt. Das ist aber nirgends so, weil die Verwaltungsgebäude am Abend immer verlassen sind und nicht so belebt, wie die Stadt mit den vielen Lokalen, Geschäften und Wohnungen. Das macht auch nichts.

St. Pölten Konkret: Wie sehen Sie das Image der Stadt St. Pölten heute?
Ernst Höger: St. Pölten hatte immer schon ein gutes Image. Diejenigen, die geschimpft haben, sind an der Stadt stets vorbeigefahren und haben sie gar nicht gekannt. St. Pölten war seit jeher eine Herzeigestadt, die eine lange Geschichte hat. Sie hat in der Nachkriegszeit eine sozialdemokratisch geprägte Entwicklung genommen. Das beginnt damit, dass die Kinder einen schönen Kindergarten besuchen können und der gesamte Bildungsbereich vorhanden ist, die Freizeitqualität passt, dass die Leute eine Arbeit haben und die Alten gut betreut werden. Die tolle Entwicklung der Stadt ist eine Leistung der Sozialdemokraten, die in St. Pölten die Verantwortung tragen. St. Pölten hat bespielweise eine Grundstücksbevorratung, die sonst keine andere Stadt hat. Die Stadt kann damit die Entwicklung steuern. Das war in der Hauptstadtfrage mitentscheidend. Es haben sich nämlich auch Städte beworben, welche die notwendigen Flächen im eigenen Stadtgebiet gar nicht gehabt hätten. Das Regierungsviertel wäre dann in der Nachbargemeinde gebaut worden. Jetzt, wo mehr Leute die Stadt kennen, hört man immer häufiger, wie schön St. Pölten ist. Also hat sich in den letzten 30 Jahren das Image noch deutlich verbessert. St. Pölten hat als Landeshaupt eine sehr gute Außenwirkung, bietet alles, was man zum Leben braucht. Ein Vorteil sind heutzutage die niedrigen Wohnungskosten. Die Arbeitsplätze haben sich verdoppelt. Das zählt für die Menschen. Und das alles ist mit mehr Offenheit, hoher Lebensqualität und viel Kultur garniert.
St. Pölten Konkret: Was sind Ihrer Meinung nach mögliche Gefahren in der zukünftigen Hauptstadtentwicklung?
Ernst Höger: Das wichtigste ist zunächst eine friedliche und demokratische Weiterentwicklung. Die einzelnen Bevölkerungsgruppen sollen im Stadtgebiet gut durchmischt und friedlich miteinander leben. Das rasante Wachstum birgt die Gefahr, dass mit dem Wachstum eigene Viertel – ähnlich einem Ghetto – entstehen. Das brauchen wir nicht. Sonst ist mir um St. Pölten nicht bange. Ich kenne die Konzepte von Bürgermeister Stadler und das geht alles ganz klar in die richtige Richtung. Das freut mich sehr, denn es ist ja nicht selbstverständlich dass das eigene Projekt durch die jüngere Generation in so optimaler Weise fortgeführt wird.

St. Pölten Konkret: Ein Blick in die Zukunft. In 30 Jahren, also im Jahr 2046, ist St. Pölten …
Ernst Höger: … falls dann Österreich noch das Österreich von heute sein sollte, nämlich ein soziales, demokratisches, solidarisches Land, eine blühende, lebendige und moderne Metropole, und zwar in einer Größenordnung, die ohne weiteres mit Graz oder Linz mithalten kann. Niederösterreich ist flächenmäßig das größte Bundesland und daher wird auch das Zentrum entsprechend wachsen. Ich wünsche mir für St. Pölten eine moderne Silhouette mit einem sehr menschlichen Antlitz. Die Menschlichkeit wird meiner Meinung nach dann bewahrt, wenn weiterhin ein sozialdemokratischer Bürgermeister oder Bürgermeisterin regiert. Die künftigen BürgermeisterInnen gehen heute noch in die Schule, wir kennen sie noch nicht und die betroffenen Personen wissen es selbst auch noch nicht. Es wird spannend, wer das sein wird.

St. Pölten Konkret: Danke für das Gespräch!

Bis zum Jahr 1920 gehörte Wien zu Niederösterreich und war daher sowohl Bundeshauptstadt als auch Hauptstadt von Niederösterreich. Wien wurde zu einem eigenständigen Bundesland und infolgedessen blieb Niederösterreich bis auf weiteres ohne Hauptstadt. Ab den 60er-Jahren kamen Diskussionen über eine eigene niederösterreichische Landeshauptstadt auf. Am 1. und 2. März 1986 war die niederösterreichische Bevölkerung bei einer Volksbefragung dazu aufgerufen über die Etablierung einer eigenen Landeshauptstadt abzustimmen. 56% der TeilnehmerInnen sprach sich für eine eigene Hauptstadt aus, in der Rangordnung wurde mit 45 % St. Pölten klar favorisiert. Am 10. Juli 1986 wurde St. Pölten zur Landeshauptstadt von Niederösterreich erhoben.

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